Teilen will gelernt sein!

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Oder etwa nicht?

Der Alltag von vielen Eltern mit Kleinkindern - Konflikte um Spielsachen schlichten. Das Kind spielt mit einem Förmchen im Sand und schaufelt fröhlich Sand hinein. Ein anderes Kind kommt herbeigerannt, und schnappt sich das Förmchen. Das Kind weint. Die Mutter des einen Kindes schreit: “Das gehört uns nicht, gibt dem Kind sofort das Förmchen zurück!”. Die andere Mutter beschwichtigt: “Schon gut, sie müssen ja teilen lernen. Spielt doch zusammen mit dem Förmchen.” Die andere Mutter lächelt, und lässt das Kind gewähren. Doch wie geht es den Kindern damit, und was lernen sie aus diesen Lösungsstrategien wirklich?

Das Kind, das das Förmchen haben wollte, lernt, dass es etwas getan hat, mit dem seine Mutter nicht einverstanden war. Und in diesem speziellen Fall, dass es durch das Wegnehmen das Förmchen, dieses trotzdem bekommt. Alternativen fehlen dem Kind.

Das Kind, dem das Förmchen weggenommen wurde, lernt, ich bin nicht gschützt. Es kann jederzeit ein anderes Kind kommen, und mir meine Sachen wegnehmen. Meine Vertrauensperson macht nichts, und unterstützt das Verhalten des anderen Kindes.

Schön und gut, fragt ihr euch vielleicht, aber wie hätte man die Situation besser lösen können? So, dass die Kinder sich beide sicher fühlen und aus der Situation lernen können.

Die Situation oben ist natürlich nur ein Beispiel, stellvertretend für so viele andere Konflikte um Spielsachen, wie sie in unserem Alltag auftreten. Wahrscheinlich habt ihr diese Situation so oder so ähnlich alle schon erlebt.

Reflektieren, wie ich mit der Situation umgehen möchte

Darum möchte ich die Antwort auch nicht für diese eine Situation geben, sondern etwas genereller darauf eingehen. Die genannten Ansätze sind als Anregungen gedacht, sie haben weder einen Anspruch auf Vollständigkeit, noch gibt es den einen - für alle passenden - Weg. Mir geht es darum, etwas Hilfestellung anzubieten bei einem Thema, das uns oft stark verunsichert. Bei dem wir in der konkreten Situation oft überfordert sind, wenn wir uns nicht vorgängig einmal in Ruhe überlegt haben, was sind meine Werte und wofür möchte ich einstehen? Wie möchte ich das machen? Darum ist das, denke ich, das Wichtigste aus diesem Beitrag. Die Anregung, euch selbst Gedanken zu machen, was passt zu uns, wie möchte ich mich verhalten. Wenn die Anregungen dabei helfen: sehr schön! Wenn nicht, einfach drüberweg lesen.

Darum fällt es gerade kleinen Kindern so schwer zu teilen

Bevor ich auf die konkreten Situationen eingehe, möchte ich noch etwas Hintergrundinformationen mitgeben. Teilen lernen ist ein Entwicklungsprozess, den Kinder durchlaufen. Dabei ist häufig zu beobachten, dass sehr kleine Kinder noch recht problemlos teilen. 2 bis 3 jährigen hingegen fällt das erheblich schwerer, mit steigendem Alter wird das Teilen für die Kinder in der Regel zunehmend wieder einfacher. Aber warum ist das so? Kinder zwischen 2 und etwa 3 Jahren haben bereits ein erstes Gefühl dafür, dass etwas ihnen gehört. Gleichzeitig sind sie in dieser Phase noch sehr selbstbezogen. Die Kinder begreifen sich als Mittelpunkt und Teil ihrer Welt. Zwingt man das Kleinkind nun zum Teilen, fühlt es sich, als würde ein Teil von ihm weggenommen. Erst im Laufe der Jahre ist das Kind immermehr zu einem Perspektivenwechsel in der Lage, und bekommt damit auch ein Gefühl für die Befindlichkeit seines Gegenübers. Und gewinnt damit eine wichtige Voraussetzung für freiwilliges Teilen.

Teilen von privaten Spielsachen auf öffentlichen Grund

Es gilt der Grundsatz: Was mir ist, bleibt mir. Ich entscheide, was ich abgeben möchte und was nicht. Das gilt für alle Personen, und demnach auch für Kinder. Wird das beachtet, bilden die Kinder eine innere Sicherheit aus, dass sie das Spielzeug behalten dürfen und solange damit spielen können, wie sie wollen. Das Kind macht die Erfahrung, dass es selbst entscheiden kann, wann es etwas teilt und wann nicht. Das stärkt ihr Selbstvertrauen und ihre Selbstwirksamkeit. Werden die Kinder hingegen zum Abgeben gezwungen, kann das längerfristig zu einem Verlust des Vertrauens in die Bezugsperson und in sich selbst führen. Das Kind lernt, meine Grenzen werden nicht beachtet. Je grösser die innere Sicherheit ist - was mir ist, bleibt mir - desto wahrscheinlicher teilen Kinder mit der Zeit gerne. Denn das Wissen, dass sie nein sagen dürfen, gibt ihnen die innere Freiheit aus echtem inneren Antrieb zu teilen.

Grenzen von anderen Kindern beachten. Es ist für die Kinder eine ebenso wertvolle Erfahrung zu sehen, dass nicht nur ihre Grenzen, sondern die Grenzen von allen Kindern gewahrt werden. Nimmt das eigene Kind ein Spielzeug, dass einem anderen Kind gehört, können wir dem Kind beibringen, dass es jemand anderem gehört. Je nach Alter und Temperament des Kindes, können wir das Kind dazu anhalten, das andere Kind zu fragen. Gerade bei jüngeren oder eher schüchternen Kindern kann diese Hürde zu gross sein. In diesem Fall können wir das als Bezugsperson mit dem Kind zusammen machen. Wir gehen auf das andere Kind zu und fragen es, ob wir mit dem Spielzeug spielen können. Ist das Kind einverstanden, können wir unser Kind schonmal vorbereiten: “Der Gegenstand gehört dem anderen Kind, wenn es das Spielzeug wiederhaben möchte, geben wir es zurück.” Das hilft dabei, das Kind auf die spätere Situation des Zurückgebens vorzubereiten.

Alle Gefühle dürfen sein, und werden begleitet. Möchte das andere Kind den Gegenstand nicht teilen oder später zurückhaben, kann das zu Frustration führen. Wichtig ist, dass wir diesen Gefühlen Raum geben und sie dasein lassen. Das Kind darf wütend, traurig oder enttäuscht sein. Das ist okay. Eine Methode, diese Gefühle zu begleiten, ist das emotionale Spiegeln. Wir spiegeln dem Kind wieder, welche Gefühle wir gerade wahrnehmen und was wir denken, dass hinter den Gefühlen stecken könnte. Mögliche Beispiele: “Du bist gerade richtig wütend, weil Du noch mit dem Gegenstand spielen wolltest?”, “Du wolltest entscheiden, wann Du es zurückgibst?”. Viele Kinder können diese Fragen schon recht früh mit Ja oder Nein beantworten. Es braucht manchmal ein paar Anläufe, um das Kind so begleiten zu können. Sollte das nicht so gut passen, kann auch das Gefühl nonverbal gespiegelt werden. Manche Kinder reagieren sehr gut auf Berührungen oder in den Arm nehmen, andere wollen das lieber nicht, oder erst etwas zeitverzögert. Hier gilt es einen eigenen, passenden Weg zu finden. Wichtig ist die Grundhaltung, das Gefühl darf sein, ich bin für Dich da.

Wenn das andere Kind das Spielzeug wiederhaben möchte. Wie bereits angesprochen, geht es darum, die Grenzen aller beteiligten Kinder zu wahren. Möchte das Kind ein geliehenes Spielzeug nicht abgeben, ist es in der Verantwortung der Bezugsperson, dass das andere Kind das Spielzeug wiederbekommt. Ein möglicher Weg ist es, zunächst mit dem anderen Kind oder der anderen Familie (je nach Situation) Kontakt aufzunehmen: “Ich sehe, Du möchtest den Gegenstand wiederhaben. Kleiner Moment ich kümmere mich darum. Ihr bekommt es jetzt wieder.” Dann dem eigenen Kind zuwenden und mitteilen, dass das andere Kind das Spielzeug wiederhaben möchte. Möchte das Kind den Gegenstand nicht abgeben, kann das mit empathischem Spiegeln begleitet werden. Geht das Kind mit dem Gegenstand weg, sanft aufhalten und Gefühle begleiten. Helfen kann auch, wenn das Kind sich zunächst vom Gegenstand verabschieden kann. Dieses Vorgehen reicht häufig schon aus, dass Kinder mit der Zeit freiwillig geliehene Gegenstände zurückgeben. Ist das Kind nicht bereit, oder es steht kein zeitlicher Raum für die Begleitung zur Verfügung, dann kann der Frust des Kindes nach dem Zurückgeben begleitet werden.

Nicht alles muss begleitet werden. Je jünger, desto enger oftmals die Begleitung. Wir können je nach dem ruhig auch mal abwarten wie die Kinder die Situation lösen. Je älter die Kinder sind, desto eher haben sie auch schon eigene Ideen und Lösungen, die sie selbst finden können. Diese Lösung muss uns nicht immer entsprechen, wichtig ist nur, dass die Kinder damit zufrieden sind. Bei Handgreiflichkeiten sollte in der Regel zum Schutz der Kinder eingegriffen werden. Sind gewisse Sachen sehr wichtig für einen, kann es sehr entlastend sein, diese einfach nicht offen rumliegen zu lassen. Das Lieblingsspielzeug kann etwa in einer Tasche am Wagen befestigt werden.

Vorbild sein. Wie bei anderen Situationen ist auch hier das Vorbild von uns Eltern entscheidend. Die Kinder können sich bei uns abschauen, wie wir teilen. Im Sandkasten können wir beipsielweise einen Sack mit Förmchen mitnehmen, die uns Eltern gehören. Diese können wir mit den anderen Kindern teilen oder bei Streit um einen Gegenstand als Alternativen anbieten. Kommt dabei beim Kind Frust auf, können wir auch diesen begleiten.

Nicht immer geht es um Besitz. Wenn sich zwei Kinder um ein Förmchen streiten, denken wir häufig, es geht um das Förmchen. Tatsächlich ist das gar nicht immer der Fall. Es kann auch darum gehen, was das andere Kind mit dem Gegenstand macht. Der Gegenstand wird erst durch die Interaktion interessant, es geht also vielmehr um das Experimentieren mit dem Gegenstand. Dieses Phänomen ist häufig dann zu beobachten, wenn das andere Kind den Gegenstand schnell nicht mehr spannend findet, nachdem es ihn hat. Das passiert oft, wenn das Kind merkt, dass es nicht die gleichen Erfahrungen mit dem Gegenstand machen kann, wie das andere Kind. Etwa weil es auf einem anderen Entwicklungsstand ist. Hier kann es beispielsweise helfen, mit dem Kind Experimente zu machen, und so die Aufmerksamkeit vom Förmchen wegzulenken, auf das, worum es ihm eigentlich geht. Der Freude am Experimentieren.

Alternativen und kreative Lösungsmöglichkeiten. Es kann sehr hilfreich sein herauszufinden, was hinter dem Verhalten steckt. Warum möchte das Kind gerade dieses Förmchen haben, was möchte es damit machen? Dann ist es sehr viel einfacher eine Alternative zu finden. Wollte das Kind beispielsweise etwas bauen, oder mit dem anderen Kind spielen? Manchmal ist das Wegnehmen von einem Gegenstand auch eine missglückte Kontaktaufnahme. Dann können wir die Kinder in ein gemeinsamess Spiel einbeziehen, und dabei bleiben oder uns langsam zurückziehen - je nach Situation und Alter der Kinder.

Kinder können von Anfang an Teilen und erweitern diese Fähigkeit nach und nach. Dabei gibt es immer wieder Phasen, in denen es ihnen leichter oder schwerer fällt. Und das ist ok, kein schlechtes Benehmen und kein Erziehungsfehler. Wir dürfen Vorbild und Entwicklungsbegelteinde sein, und unseren Kindern vertrauen.